Schreibende Tätigkeiten und Journalismus: Ähnlichkeiten und Grenzen

Den folgenden Artikel von Helga Ballauf stellen wir in der Mediencommunity zur Diskussion, um Ihre Meinung zum Thema "Qualifizierung für die Content-Produktion" in der Medienbranche kennenzulernen. Bitte schreiben Sie Ihren Standpunkt in einen Kommentar am Ende der Seite und beteiligen Sie sich an unserer Abstimmung zum Thema.

Schriftlich gut kommunizieren können – diese Fähigkeit wird seit der Entwicklung ständig neuer elektronischer Kommunikationstechniken immer wichtiger. Von Emails über Twitter- und Community-Einträgen bis zu Texten für die Homepage im Netz. Das trifft für die private und soziale Kommunikation zu und bestimmt stärker denn je berufliche Aufgaben. Das schreckliche Wort von der „Content-Produktion“ macht die Runde: Der virtuelle Raum will gefüllt werden mit Stoff, mit Inhalt. Und irgendwer muss ihn liefern, am besten nebenher zu den sonstigen beruflichen Aufgaben, dabei aber möglichst adressatenspezifisch und auf mehreren Kanälen einsetzbar.

 
Die Sekretärin, die laufend jede neue Veröffentlichung ihrer Chefin im Netz kurz vorstellt und zugänglich macht, gehört demnach ebenso zu den Content-Produzent/innen wie der Mediengestalter, der die inhaltlichen Informationen für die Website des Auftraggebers so umschreibt, dass sie ins Design passen. Und natürlich gehören alle dazu, die zuständig für die komplette Öffentlichkeitsarbeit einer Firma oder Organisation sind – seien sie nun dort selbst angestellt oder aber in einer Agentur für Public Relations. Um die „klassischen“ Verfasser von Texten, die eine (breite) Öffentlichkeit erreichen sollen, nicht zu vergessen: Journalistinnen und Journalisten.
 
Das Schreiben nicht-journalistischer Texte gewinnt laufend an Bedeutung und Umfang. Damit stellt sich die Frage: Wie lernt man das? Und: Wo ist die Grenze zur journalistischen Arbeit?
 
Journalismus, der sich auf den Schutz des Artikels 5 Grundgesetz berufen kann, muss bestimmten Prinzipien gehorchen und Standards einhalten. Und Journalismus ist mehr als Schreiben. Dies belegen die folgenden Schlaglichter. Sie zeigen aber auch schleichende Grenzverletzungen und untermauern, dass verlässliche Aus- und Fortbildungswege in der weit gefassten „Content-Produktion“ helfen würden, Berufsprofile zu schärfen und Qualität zu gewährleisten.
 
 
Die Recherche
 
Konzern X verkündet einen Erfolg: Die Zahl der Ausbildungsstellen ist deutlich gestiegen – wie im Pakt mit der Regierung versprochen, heißt es in einer Pressemitteilung. Hartnäckiges Nachfragen einer Journalistin beim Unternehmenssprecher und in der Fachabteilung zeigt dann aber: Es gibt zwar wirklich mehr Plätze für junge Leute, die ein duales Studium in Betrieb und Berufsakademie machen. Dagegen haben Real- oder gar Hauptschüler sogar weniger Chancen auf eine klassische Lehrstelle in dem Konzern. Wohlgemerkt: Das Hinzurechnen der Studierenden war von den Vorgaben des Ausbildungspakts gedeckt. Das Unternehmen belog also mit seiner Erfolgsmeldung nicht die Öffentlichkeit. Es wurde „nur“ geschickt verschleiert, dass die eigentliche Zielgruppe des Pakts leer ausgeht.
 
Journalistische Recherche ist weit mehr als es der inzwischen inflationär gebrauchte Begriff vermuten lässt. Ein bisschen Googeln können reicht nicht aus. Gefragt sind ein vielseitiges Handwerkszeug und eine Haltung, die neugierig und zweifelnd zugleich ist. Journalistische Recherche ist ein Vorgehen, bei dem man sich nicht mit einer einzigen Quelle zufrieden gibt, das unvoreingenommen und ergebnisoffen ist und eigene Beobachtungen zum Erfahrenen ergänzt. Die Informationsüberprüfung – der Gegencheck – spielt eine große Rolle.
 
Kann ich dem ersten Augenschein trauen? Was steckt dahinter? In welchem Zusammenhang steht eine einzelne Auskunft? Welche Interessen bewegen die Informanten und Befragten? Im besten Fall ist (investigative) Recherche ein Verfahren zur Beschaffung und Beurteilung von Aussagen, die sonst nicht preisgegeben und publik würden.
 
Auf die Arbeit der Pressestelle des erwähnten Konzerns gewendet zeigt das Beispiel: Von den Beschäftigten wurde keine journalistische Arbeit verlangt, auch wenn zunächst die Information in den einzelnen Abteilungen erfragt („recherchiert“) und danach ein Text geschrieben werden musste. Beim Verarbeiten des zusammengetragenen Materials ging es vielmehr darum, eine strategische Entscheidung des Arbeitgebers umzusetzen: Wie verpacken wir unsere, den Interessen des Unternehmens dienende Ausbildungspraxis im Pressetext so, dass sie als gesellschaftspolitische Großtat erscheint? Und wie tun wir das, ohne uns der offensichtlichen Irreführung der Öffentlichkeit schuldig zu machen? Nichts war weniger gefragt, als eine eigene, unabhängige und abwägende Haltung der Schreibenden.
 
Das Schreiben
 
Flott und gefällig schreiben; eingängige Texte verfassen, die es dem Lesenden leicht machen, auch schwierige Zusammenhänge zu erfassen: Wer möchte das nicht können? Mit Talent, Wissen und Übung lassen sich Gebrauchsanweisungen und Fachbroschüren, Beschlussvorlagen und Geschäftsberichte, Zeitschriftenreportagen und Online-Meldungen verständlicher und lesefreundlicher schreiben.
 
Journalistisches Handwerkszeug, was den Umgang mit der Sprache oder die passende Textform angeht, kann allen Schreibenden weiterhelfen, unabhängig von der anschließenden Verwendung des Produzierten. Darüber hinaus gilt: Die „flotte Schreibe“ darf nicht wichtiger sein als die Genauigkeit, zu der Journalist/innen in Ausdruck und Inhalt verpflichtet sind.
 
Eine zweite Trennlinie bildet die Unabhängigkeit journalistischer Arbeit. Es besteht ein grundsätzlicher und nicht nur ein gradueller Unterschied, ob ich über einen Sachverhalt, einen Akteur schreibe oder für ihn, in seinem Auftrag. Diese Grenze zwischen dem Schreiben im Interesse der Öffentlichkeit einerseits und dem Verfassen gut formulierter Texte im Auftrag eines Unternehmens/einer Organisation, wird allerdings schleichend und zunehmend verletzt. Es ist ein Trend, auf den sich auch Redaktionen von „seriösen“ Blättern immer häufiger einlassen, weil ihr Honorartopf leer ist. Beispiele:
 
T. ist freie Journalistin, spezialisiert auf Computerthemen. Eine Fachzeitschrift, für die sie schon lange arbeitet, kürzt das Honorarbudget drastisch. Der Redakteur will eigentlich auf ihre Beiträge nicht verzichten – aber kosten sollen sie möglichst nichts mehr. T. ändert nun ihre Arbeitsweise: Sie wählt beispielsweise das Thema, dass immer weniger Fachkräfte in der Lage sind, Großrechner zu programmieren und zu warten. Sie stellt ein Unternehmen vor, das diesen Mangel besonders spürt – und lässt sich dafür ein Firmenhonorar überweisen.
 
Der Verlag einer angesehenen Tageszeitung beschließt, dass in den Beilagen und Sonderveröffentlichungen die Texte rund um die Anzeigen mehr auf die werbende Kundschaft eingehen sollen. Dafür liefern die Firmen Daten, Fakten und Ideen; in der Anzeigenabteilung der Zeitung machen PR-Assistent/innen lockere Texte daraus – ein Job für Verlagskaufleute mit Sprachgefühl, heißt es.
 
Der redaktionelle Rahmen
 
Sie sind Journalist/innen, aber eigene Artikel recherchieren und schreiben sie so gut wie nie. Redakteur/innen sind meist „Blattmacher“ und das heißt: Von der Themenvergabe übers Redigieren bis zur Komposition einer (Internet)-Seite tragen sie die Verantwortung für die Qualität des Produkts.
 
„Die im Grundgesetz der Bundesrepublik verbürgte Pressefreiheit schließt die Unabhängigkeit und Freiheit der Information, der Meinungsäußerung und der Kritik ein. Verleger, Herausgeber und Journalisten müssen sich bei ihrer Arbeit der Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und ihrer Verpflichtung für das Ansehen der Presse bewusst sein. Sie nehmen ihre publizistische Aufgabe fair, nach bestem Wissen und Gewissen, unbeeinflusst von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen wahr.“
 
So steht es in der Präambel der Publizistischen Grundsätze des Deutschen Presserats. Der „Presse-Kodex“ mit seinen 16 Ziffern ist eine freiwillige Selbstverpflichtung der Verleger- und Journalistenverbände. In Ziffer 7 ist ausdrücklich geregelt: „Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden.“ Diese berufsethischen Grundsätze gelten auch für journalistisch-redaktionelle Beiträge im Internet.
 
Die Praxis sieht oft anders aus: Die Verlage wollen Geld verdienen und sich keine Chance dafür entgehen lassen. Und viele der freien Journalist/innen kommen finanziell nur über die Runden, wenn sie beides machen: Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit, Beiträge für Presse und Internet, Funk und Fernsehen ebenso wie Aufträge für Firmen und Organisationen. So herrscht ein weitgehend stillschweigendes Einvernehmen, nicht zu genau hinzuschauen. Ein Beispiel:
 
Der Redakteur einer Wirtschaftszeitung erteilt einem freien Journalisten den Auftrag, in mehreren Teilen über das Thema „Whisky, das neue Modegetränk der Reichen, Erfolgreichen, Schönen“ zu schreiben. Er verrät nicht, dass ein großer Whisky-Hersteller eine solche redaktionelle Zutat als Bedingung für eine geplante – teure – Anzeigenserie in der Zeitung verlangt hat. Der Redakteur wischt kurze eigene Bedenken vom Tisch: Auf den Inhalt der Artikel hat der Inserent ja (noch) keinen Einfluss genommen.
 
Dennoch: Es ist ein Verstoß gegen zwei journalistische Grundsätze. Der Redakteur ignoriert die Aufgabe der Medien, eigene Themen zu setzen, unbeeinflusst von geschäftlichen Interessen Dritter und er gibt die Unabhängigkeit auf, lässt „sachfremde Beweggründe“ zu. Was würde geschehen, sollte der freie Journalist bei einer ergebnisoffenen Recherche heraus finden, dass die „Reichen, Erfolgreichen und Schönen“ alles andere lieber als Whisky trinken? Soll er dann den Trend herbei schreiben? Damit wäre endgültig der Schritt zur PR gemacht, zu dem, was in einer bezahlten und also solches gekennzeichneten Imageanzeige zu erscheinen hat – und nur dort.
 
Journalistische Ausbildung: Unbefriedigend
 
Hohe gesellschaftliche Verpflichtung und Verantwortung des Journalismus hin oder her: Es gibt für den Beruf in Deutschland keine geregelte Ausbildung. Jede/r kann sich in dieser Profession frei betätigen, auch wenn in der Praxis inzwischen drei Zugangswege überwiegen.
 
Es gibt eine tarifvertraglich geregelte Volontärsausbildung; es gibt Journalistik-Studiengänge an Hochschulen und es gibt eine Handvoll spezialisierter Journalistenschulen, die oft in enger Verbindung zu einem Verlag/Medium eine stark praxisorientierte berufliche Vorbereitung bieten. An mancher Hochschule unterscheiden sich die Studiengänge Journalistik und PR nur in wenigen Modulen, wenn etwa die einen das Glossen-Schreiben üben und die anderen das „Texten und Präsentieren“.
 
Das Berufsprofil und die journalistischen Qualitätsstandards bleiben so notwendigerweise vage. Die Abgrenzung zu anderen schreibenden Berufen gerät zu einer rein normativen: Das Pochen auf die von Artikel 5 des Grundgesetzes geschützte Tätigkeit.
 
Qualifizierung für die Content-Produktion:
Ein Vorschlag, ein Stufenplan
 
Texten als Zusatzqualifikation. Während der Berufsausbildung können Azubis zusätzliche Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben, die ihre berufliche Handlungsfähigkeit erweitern. Gerade für junge Leute, die einen technischen, gestalterischen oder kaufmännischen Beruf der Medienwirtschaft erlernen, kann sich das frühzeitige Beschäftigen mit Textformen, Inhouse-Recherche, medienrechtlichen Regeln und Grenzen zum Journalismus empfehlen. Aber auch für andere Professionen, wenn etwa die Kommunikation mit den Kunden eine große Rolle spielt.
 
Ausbildungsberuf für die „Content-Produktion“. Eine Tätigkeit im Herstellungsprozess von journalistischen und nicht-journalistischen Erzeugnissen. Da ist also etwa die Mitarbeiterin einer Pressestelle, die Journalistenwünsche entgegennimmt, Routineanfragen selbst bearbeitet, Mitteilungen auf die Homepage des Unternehmens ins Netz stellt, Meldungen dort aktualisiert und Auftritte des Unternehmens im Web 2.0 pflegt. Oder der Mitarbeiter eines Zeitungsverlags, der die Redakteure von Archiv- und Dokumentationsarbeiten entlastet, Servicemeldungen im Netz regelmäßig erneuert und weitere verwaltende Aufgaben im Redaktionsmanagement übernimmt.
 
Aufstiegsfortbildung für die crossmediale Herstellung von Medieninhalten. Sie sollte gleichzeitig zur Etablierung eines einschlägigen Ausbildungsberufs entwickelt werden: Um sowohl den Berufseinsteigern als auch den Quereinsteigern eine geordnete berufliche Perspektive zu bieten; um die vielfältigen, aber bisher völlig ungeregelten Weiterbildungsangebote klar in der Zwischenebene von Aus- und Fortbildung verorten zu können; um zu den hochschulischen Abschlüssen für Journalismus und Public Relations auch einen beruflichen Lernweg anbieten zu können, der einen Abschluss auf gleichwertigem Niveau ermöglicht.
 
Helga Ballauf, Fachjournalistin Bildung – Medien – Beruf, München
 
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