Warum ein Neustart nötig ist ...

... und welche Rolle Betriebsräte dabei spielen:
Interview mit Viktor Kalla aus druck+papier 3/12

Seit 1. Oktober 1990, länger als 20 Jahre, gilt der »Tarifvertrag zur Förderung der Fortbildung und Umschulung in der Druckindustrie und im Verlagsgewerbe«. Es war ein Novum damals, dass der Betriebsrat bei Qualifizierungsfragen mehr Rechte erhielt, als im Betriebsverfassungsgesetz geregelt sind. Das Projekt WiDi ermöglicht und erfordert nun wieder spezielle Betriebsräte-Schulungen zum Thema. Eine Zwischenbilanz mit Referent Viktor Kalla.

Frage: Seit 22 Jahren gibt es den Tarifvertrag. Was hat er bewegt?
Viktor Kalla: Er ist sträflicherweise ziemlich unbeachtet geblieben. Dabei war es ein Durchbruch: Fast ein Jahrzehnt lang hatten die Arbeitgeber Fragen der Fortbildung und Umschulung als nicht tariffähig betrachtet und Verhandlungen verweigert. Schließlich wurde ein Herrschaftsinstrument angetastet: Die Arbeitgeber wollten allein bestimmen, wer bei technischen und organisatorischen Veränderungen geschult wird. Klar ist: Bei dieser Auswahl werden Lebenschancen verteilt.

Frage: Und wer entscheidet nun darüber?
Viktor Kalla: Im Tarifvertrag verpflichten sich Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam, jährlich den betrieblichen Fortbildungsbedarf festzulegen und die Personen zu bestimmen, die geschult werden. Dazu kommen die Mitbestimmungsmöglichkeiten nach Betriebsverfassungsgesetz. Der Betriebsrat kann selber initiativ werden.

Frage: Warum ist der Tarifvertrag dennoch so wenig beachtet worden?
Viktor Kalla: Betriebsräte haben viel zu tun. Da kann nicht alles gleichzeitig angepackt werden. Wir werben dafür, dass sie dem Thema »Qualifizierung« bei ihrer Arbeitsplanung künftig eine höhere Priorität einräumen. Das wollen wir vermitteln.

Frage: In den Betriebsräte-Seminaren?
Viktor Kalla: Genau. Es geht darum, dass dieses Thema, wenn Qualifizierung im Betrieb geplant wird oder stattfindet, einen zentralen Stellenwert in der Betriebsratsarbeit bekommt, dass man dranbleibt, selbst initiativ wird und nicht nur Getriebener ist. Die Seminare haben das Ziel, das Bewusstsein zu schärfen und Handwerkszeug zu vermitteln. Wir wollen die Betriebsräte ermutigen, sich selbst weiterzubilden und ihren Kolleginnen und Kollegen Lust am Lernen zu vermitteln. Trotz manch schlechter Erfahrung mit der Schule.

Frage: Eine hohe Anforderung an Betriebsräte ...
Viktor Kalla: ... in einer Branche, in der die meisten Betriebe weniger als 50 Beschäftigte haben. Dort, wo es Betriebsräte gibt, sind sie oft nicht freigestellt und haben Schwierigkeiten, systematisch zu arbeiten. Wir wollen Anstöße geben. Idealerweise geht es dann vor Ort weiter – mit Qualifizierungsformen, die etwa für die kleinbetriebliche Struktur passen.

Frage: Hilft die ESF-finanzierte Weiterbildungsinitiative weiter?
Viktor Kalla: Ja. Sie liefert den Betriebsräten ein gutes Argument: Mit WiDi haben sich beide Seiten – Arbeitgeber und Gewerkschaft ver.di – ausdrücklich zum Fortbildungsbedarf in der Branche bekannt und verpflichtet, gemeinsam etwas Vernünftiges zu tun.

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