1.4.1 Praxisbeispiel 1: Tiefkühlverpackung für Fischstäbchen

Herr Überall ist im Außendienst für den Verpackungskonzern Faltschachtel-Allgäu AG tätig. Der Konzern gehört zu den großen Packmittelherstellern der Lebensmittelbranche. Nach mehreren Telefonaten hatte Herr Überall (Überall, Kaufmann, Market, Prodbeck = fiktive Namen) für Montag, 9 Uhr, endlich einen persönlichen Gesprächstermin bei der Haarburger Fischfabrik (HF) vereinbart. Die HF ist Marktführer für tiefgekühlte Meeresfrüchte. Herr Überall weiß aus Insiderkreisen, dass die HF für ihre Fischstäbchenproduktion eine neue Verpackungslinie plant.

Gut vorbereitet und gut gelaunt erscheint Herr Überall pünktlich zum Meeting bei der HF in Haarburg. Der Fischstäbchen-Produzent ist durch Herrn Kaufmann, Leiter Einkauf, Herrn Market, Leiter der Marketingab- teilung, und Herrn Prodbeck aus der Produktion vertreten. Nach kurzem Small Talk beginnt Herr Überall mit einer kurzen Unternehmenspräsentation der Faltschachtel-Allgäu AG. Geschickt leitet er zu seinem Packmittelportfolio für Tiefkühlprodukte über.

Als Branchenspezialist weiß Herr Überall, worüber er spricht. Von der bis zu acht Farben offsetbedruckten Faltschachtel bis zur kompletten Abpackmaschine für Fischstäbchen ist alles aus einer Hand möglich. Die Herren von der Haarburger Fischfabrik haben sich dazu durchgerungen, einen neuen Generalanbieter für die Verpackung ihrer Fischstäbchen zu suchen. Seit längerem haben sie mit ihren Faltschachteln auf dem Markt Probleme: Die seitliche Klebelasche platzt beim Öffnen öfter auf – und die Kunden sind deshalb unzufrieden. Weiter traten in unterschiedlichen Chargen erhebliche Farbunterschiede an den Packungen auf. Herr Überall zeigt den Interessenten einige Produktbeispiele bereits produzierter ähnlicher Produkte.

Je mehr Informationen man im Vorfeld über die Bedürfnisse eines Kunden hat, umso gezielter kann man sein Angebot darauf abstimmen.

Die Herren aus der Fischfabrik sind auf der Suche nach einer Tiefkühlverpackung für 10er-Fischstäbchen, 5-farbig bedruckt plus Lack. Die Lagerzeit soll maximal zwei Jahre bei –18 °C betragen. Die Faltschachteln sollen flachliegend, geklebt beim Kunden angeliefert, maschinell aufgestellt und auf einer Endload-Maschine befüllt werden. Bei Endload wird das Produkt seitlich in die Schachtel ge- schoben, bei Topload wird die Schachtel von oben befüllt. Als Auflage sind 2 Millionen Stück geplant. Herr Überall nimmt die Kundenanforderungen in eine vorbereitete Kundencheckliste auf, die er in seinem Notebook hinterlegt hat.

Kundenbedürfnisse werden über eine Checkliste abgefragt und notiert. Dies ist die Basis für ein detailliertes Kundenangebot.

Er sendet diese Informationen an die Verkaufsabteilung bei Faltschachtel-Allgäu AG, damit dort ein detailliertes Kundenangebot erstellt werden kann. Dort werden die Daten intern an die Kalkulation und die Entwicklungsabteilung weitergeleitet.


Abb. 37: Kartonverpackungen zeichnen sich durch viele positive Eigenschaften für Tiefkühlprodukte aus

Nachdem intern alle Arbeiten zur Erstellung des Kundenangebots abgeschlossen sind, wird Herr Überall eingeladen, dem potenziellen Neukunden das Ganze persönlich vorzustellen. Der HF-Chefeinkäufer, Herr Kaufmann, ist begeistert von der schnellen und reibungslosen Umsetzung seiner Vorstellungen. Das Material, ein auf der Rückseite PE-beschichteter GC, fällt ihm sofort positiv auf. (Die Abkürzung GC steht für „Gestrichener Chromokarton“. PE ist ein Kunststoff.) Eine hoch weiße Außenseite, die fühlbare Biegesteifigkeit und die leichtgängige Aufreißperforation – das ist genau das Material, das ihm vorschwebte. Und der Angebotspreis stimmt auch. Gemeinsam mit Herrn Überall schaut sich Herr Kaufmann noch ein animiertes Video der Abpackmaschine an. Der Handel ist perfekt – und Herr Überall tritt die Heimreise an. Allerdings ist hier hinzuzufügen, dass solche Kundenbesuche nicht immer so erfolgreich verlaufen.

Aus dem Auto informiert Herr Überall den Verkaufsinnendienst. Dieser legt sofort einen neuen Auftrag an. Die Auftragsvorbereitung kontaktiert den Einkauf. Im Einkauf wird abgeklärt, ob der GC 260 g/m² im 6er-Format (102 x 142 cm) noch auf Lager ist oder ob dieser beim Lieferanten bestellt werden muss. Eine Materialbestellung für diesen Auftrag wird veranlasst. Weitere Abklärungen:

• Sind Maschinenkapazitäten frei?
• Sind alle erforderlichen Druckfarben und Lacke noch am Lager? Oder müssen sie beim Lieferanten geordert werden?

Bestellt wird außerdem eine Endload-Abpackmaschine beim Hersteller Comic. Weiter gibt die Auftragsvorbereitung in der Druckvorstufe die benötigten Stanzwerkzeuge im Stanzformenbau sowie die benötigten Druckplatten in Auftrag.

Hierzu werden die CAD-Zeichnungen aus der Entwicklungsabteilung per Betriebsdatenerfassungs-System direkt an den Stanzformenbau übermittelt. Dort wird nach Zeichnung ein 20-nutziges Flachbettstanzwerkzeug gebaut. Parallel zu diesem Geschäftsprozess kontaktiert die Druckvorstufe die Designagentur der HF. Nachdem die CAD-Zeichnungen der Faltschachtel aus der Entwicklungsabteilung über Internet direkt dort eingetroffen sind, kann die Agentur das Drucklayout auf die Faltschachtelgröße anpassen.


Abb. 38: Standbogen der Offsetdruckform für diesen Auftrag

Die Druckvorstufe erhält dann von der Agentur eine PDF-X3-Datei zur Erstellung der Offsetdruckplatten. PDF-X3 ist ein speziell für Druckzwecke entwickeltes PDF-Format. Faltschachtel-Allgäu verfügt hier über eine moderne CtP-Anlage (CtP = Computer to Plate = Belichtungsverfahren für Druckplatten.). Abschließend bestellt die Auftragsvorbereitung noch die Umkartons inklusive Etiketten, in denen später die fertig produzierten, flachliegenden Faltschachteln zum Kunden HF gehen.

Jetzt wird die Produktionsplanung aktiv. Sie hat den vereinbarten Liefertermin beim Kunden immer fest im Visier. Sie muss den Produktionsablauf so planen, dass auch bei Störungen noch genügend Zeit vorhanden ist, das vereinbarte Lieferdatum einzuhalten. Liefer- und Termintreue sind ein entscheidendes Qualitätskriterium in einer Kundenbeziehung.

Die Produktion muss aus fertigungstechnischen Gründen immer in einer fest vorgegebenen Reihenfolge die einzelnen Produktionsstationen durchlaufen. Dazu muss der in Rollenware angelieferte Karton zuerst in einem Breitschlitzdüsenextruder mit einer PE-Schicht von 12 bis 14 g/m² beschichtet werden. Dies entspricht einer Schichtdicke von ca. 16 μm.

Anschließend wird der beschichtete Karton auf einem Querschneider auf das Bogenformat der Offsetdruckmaschine zugeschnitten. Im Anschluss an diesen Oberflächenveredelungsprozess kommt der Karton an die Druckmaschine. Die Druckmaschine wurde bereits mit den in der Druckvorstufe hergestellten Druckplatten gerüstet. In die Farbwerke wurden zuvor die von der Druckvorstufe ermittelten Druckfarben eingefüllt. Nach einer kurzen Andruckphase muss der Maschinenführer die Freigabe für den kompletten Auftrag bekommen. Dies geschieht entweder durch den Abgleich mit einem farbverbindlichen Druckproof, den der Kunde bereits abgezeichnet hat. Ein Proof (oder Prüfdruck) bezeichnet im Druckwesen simuliert das spätere Druckergebnis. Am Bildschirm lässt sich dieses nicht einschätzen. Oder der Kunde – in diesem Fall Herr Kaufmann von der HF – kommt zur Auftragsfreigabe direkt an die Maschine. Nun kann der Druckjob in der von der Produktionsplanung vorgeplanten Maschinenlaufzeit durchgeführt werden. Der Drucker kontrolliert permanent das Druckergebnis und stellt bei Bedarf die Maschine entsprechend nach.


Abb. 39: Extruder mit Breitschlitzdüse zur Kartonbeschichtung mit einer dünnen PE-Schicht


Abb. 40: Einzelnutzenzeichnung einer Fischstäbchenfaltschachtel (L x B x H: 200 x 105 x 33)


Abb. 41: Dem geschulten Auge eines Druckers entgeht nichts


Abb. 42: Offsetdruckmaschine 5-Farben+Lack (Quelle: Heidelberger Druckmaschinen AG)

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