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3.4.2 Auswahl- und Gestaltungsgrundsätze (Wellpappe)

In diesem Kapitel betrachten wir das Material und die Konstruktion in Abhängigkeit vom Produkt näher. Jedes Produkt, ob Flasche oder Laptop, hat ein eigenes Anforderungsprofil. In folgender Matrix sind als Beispiel einige Marktsegmente und Anforderungsprofile gelistet. Je nach Anforderung kann diese Tabelle mehr oder weniger umfangreich sein. Unter Marktsegment ist eine Gruppe zusammengehöriger Bereiche des Gesamtmarktes zu verstehen – zum Beispiel Lebensmittelverpackungen.

Abb. 255: Anforderungsprofil – die Kreuze in der Matrix markieren geforderte Eigenschaften einer Verpackung. Erklärung zu ESD = Schutzbeschichtung – zum Beispiel antistatischer Noppenschaum
(Quelle: Eigene Darstellung)

Als Beispiel gleichen wir das Marktsegment SB-Verpackung mit unserem
Anforderungsprofil ab.

a) Originalitätsverschluss
Konstruktion, die erkennen lässt, ob eine Verpackung schon geöffnet wurde. Im SB-Bereich ist das sehr wichtig (Verschmutzung/Vollständigkeit). (SB = Selbstbedienung)
b) Stapelfähigkeit
Schließt Kissenpackungen oder Blisterkarten aus. (Kissenpackungen = Verpackungen in Linsenform.)
c) Staubdicht
Großformatige Verpackungen benötigen dazu unter Umständen einen Klebeverschluss. Vorhandene Fensterausstanzungen müssen mit Folie hinterklebt sein.

Um die optimale Verpackung für ein Produkt zu finden, bietet sich ein Abgleich des Anforderungsprofils mit Konstruktionen aus dem FEFCO-Katalog an.

Nachfolgend erarbeiten wir an einem weiteren Beispiel die Abstimmung zwischen Konstruktion und Anforderungsprofil. Ein Kunde aus der Spielzeugindustrie benötigt eine Verpackung für einen hochwertigen Spielzeugteddybären. Die Größe liegt bei 200 x 150 x 300 mm und wiegt rund 500 Gramm. Der Teddy soll in eine Präsentationsverpackung. Die Verpackungen sollen übereinander gestapelt werden können – und man soll so viel wie möglich von dem Spielzeug sehen können. Die Auflage liegt bei 50.000 St. p.a. (pro Jahr).

Anforderung des Kunden:
Produktfixierung, Packungsbeilage, Originalitätsverschluss, staubdicht, stapelbar, Fensterhinterklebung so groß wie möglich, schnelles Abpacken, Verkaufsverpackung.

Anforderungsprofil und Verpackungslösung:
• Produktfixierung: separate Einlage zur Fixierung des Teddys – er wird kundenseitig am Hals mit einer dünnen Kordel mit der Einlage verbunden.
• Packungsbeilage: Die Packungsbeilage/Informationsblatt kann zwischen Einlage und Umverpackung gepackt werden. Wir lassen hier 3 mm Platz.
• Originalitätsverschluss: Die Verpackung erhält einen Einsteckdeckel mit Gegenverriegelung. Für den Originalitätsverschluss muss der Kunde selbst in Form eines Haftetiketts sorgen. Beim Öffnen muss das zerstört werden.
• Stapelbar: Eine E-Welle der Qualität 1.20 sollte genügen, wir haben zur Verstärkung eine Einlage, an der der Bär befestigt wird.
• Staubdicht: Vollständige Staubdichtigkeit lässt sich mit Wellpappe wohl nicht ganz erreichen. Sie wird jedoch so gut wie möglich gewährleistet.
• Fensterhinterklebung: Wir bringen ein Fenster ein, das so groß wie möglich ist, und hinterkleben es mit einer Folie.
• Schnelles Abpacken bei großer Abnahmemenge: Wir verwenden einen Automatikboden mit Einsteckdeckel.
• Verkaufsverpackung: Zum Einsatz kommt eine E-Welle. Diese bringt für dieses Produkt die nötige Stabilität mit. Sie ist für das Produkt entsprechend filigran und lässt sich mit einem Offset-Druck ausstatten.

Wir wählen den FEFCO 0713 mit einer Einlage. Er erfüllt die meisten Punkte und ist für diese Dimensionen gut geeignet.

Für unseren Fall wählen wir eine Einlage, die die drei großen Flächen im Inneren der Schachtel voll auskleidet. Der Kunde kann hier die Faltschachtel vollflächig werbewirksam mit einer Kulisse bedrucken lassen. Dies setzt jedoch voraus, dass bei dieser Verpackungsausführung von der Druckseite gestanzt wird. Will man wie üblich von hinten stanzen, so muss die Zeichnung gekontert werden. Der Bär kann mit einer Kordel, die durch zwei Löcher gefädelt wird, fixiert werden.


Abb. 256: FEFCO 0713 (Quelle: Eigene Darstellung)

Für die Fensterhinterklebung wird PET verwendet. Hier reicht eine Materialstärke von 0,2 mm. Da das Fenster über das Eck geht, sollte die Folie im Bereich der Rillung mit einem Entlastungsschlitz gestanzt werden.


Abb. 257: Die Folie sollte im Bereich der Rillung mit einem Entlastungsschlitz gestanzt werden. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Umverpackung mit der Form des FEFCO 0713 bietet sich deshalb so gut an, weil er bereits vorgeklebt an den Kunden versendet werden kann. Er ist mit einem Handgriff aufzufalten und zu bestücken. Merke: Rahmen für Fenster nicht zu knapp wählen und definierte Faltung gewährleisten.


Abb. 258: Verpackung auf Basis des FEFCO 0713. Aufrichte-Schachteln des FEFCO-Typ 07 bestehen im Prinzip aus einem Stück, sind vom Hersteller vorgegeklebt, werden flach geliefert und sind durch einfaches Aufrichten fertig zum Gebrauch. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Gegenverriegelung hält den Deckel verschlossen. Für den Verkauf im Einzelhandel muss jedoch noch ein Originalitätssiegel angebracht werden. Der Teddy ist durch das große Fenster gut zu sehen. Die Einlage bildet im Hintergrund eine Kulisse. Das PET-Fenster bietet Schutz vor dem Eingreifen und somit davor, dass die Ware im SB-Bereich zum Beispiel durch Anfassen oder Staub verschmutzt werden könnte.
Besonderheit beim Fenster einer solchen Präsentationsverpackung: Bei einem derart großen Fenster muss mit dem Werkzeugbau und dem Maschinenführer gesprochen werden. Die Linien, die auf der FKM um 180° umgeschlagen werden, müssen hundertprozentig gut falten. Der Rand darf nicht zu klein ausfallen, da beim Faltprozess der Karton im Bereich des Fensters abknicken kann.

Klassische Fehler bei der Verpackungsentwicklung und Berechnung (1):
FEFCO 0201: Normalerweise werden Faltschachteln immer mit Länge, Breite und Höhe angefragt. Es kommt jedoch oft vor, dass der Kunde die Maße vertauscht. Das kann große Auswirkungen auf die Materialberechnung und somit auf den Preis haben. Im Interesse eines verantwortungsvollen Umgangs mit Ressourcen ist es wichtig, Kundenangaben immer zu prüfen, um Verschwendung zu vermeiden und schlank zu produzieren.


Abb. 259: Beispiel einer falschen Angabe beim FEFCO 0201 – 150 x 400 x 300 mm (Quelle: Eigene Darstellung)

Boden- und Deckelklappen werden anhand des zweiten Maßes berechnet. Zu große Deckelklappen wie in Abb. 259 sind die Folge, die sich in diesem Fall nicht einmal schließen lassen. Außerdem wäre unsere
Faltschachtel viel teurer als ein normal gerechneter.


Abb. 260: Beispiel einer korrekten Angabe beim FEFCO 0201 – 400 x 150 x 300 mm (Quelle: Eigene Darstellung)

Beispielrechnungen des Materialverbrauchs bei falscher und korrekter Materialangabe

Falsche Angabe
1,142 x 0,710 m = 0,811 m²

Richtige Angabe
1,142x 0,46 m = 0,525 m²

Differenz pro Stück: 0,286 m² weniger Material! Bei einer Auflage von 10.000 Stück würde eine ungeprüft übernommene falsche Angabe somit 2.860 m² an Material verschwenden!

Klassische Fehler bei der Verpackungsentwicklung und Berechnung (2):
Ihr Kunde bestellt einen FEFCO 0427 ohne Staublaschen mit den Maßen 600 x 120 x 100 mm.


Abb. 261: FEFCO 0427 ohne Staublaschen (Quelle: Eigene Darstellung)

Diese Ausführung sollte so nicht gefertigt werden. Bei einem Versuch stellt man sehr schnell fest, dass die Laschen (59 mm), die eingekrempelt werden, viel zu kurz sind. In der Praxis würde die wohl herausrutschen und die Verpackung würde sich auffalten. Hier müssen unbedingt die Laschen verlängert werden. Oder man wählt einen FEFCO 0471:


Abb. 262: Der FEFCO 0471 spart Material und hält besser ineinander. (Quelle: Eigene Darstellung)

Man hat mit dem FEFCO 0471 nicht nur eine Verpackung, die besser ineinander hält, sondern man verbraucht bei dieser Ausführung auch 0,094 m² weniger Material! Sobald Breite und Höhe quadratisch werden, muss überlegt werden, ob die Verpackung ihren Zweck erfüllt.

Beispielrechnungen des Materialverbrauchs bei FEFCO-Varianten

FEFCO 0427
1,057 x 0,557 m = 0,589 m²

FEFCO 0471
0,87 x 0,5685 m = 0,494 m²

Differenz pro Stück: 0,094 m² weniger Material! Bitte vergleichen Sie auch den FEFCO 0421 und den FEFCO 0470!

Klassische Fehler bei der Verpackungsentwicklung und Berechnung (3):
Ihr Kunde ist im Möbelgeschäft tätig und will sein Möbel in eine Faltschachtel verpacken. Das Packstück hat das Maß 2000 x 600 x 50 mm. Folgende Punkte sprechen gegen die Ausführung 0201:


Abb. 263: weniger geeignet - FEFCO 0201 (Quelle: Eigene Darstellung)

• Man wird Schwierigkeiten haben, diese Kartonage zu fertigen.
• Je nach Qualität wir die Schachtel schon beim Einfalten der Boden- und Deckelklappen in der Höhe einreißen.

Hier ist es wesentlich besser, einen FEFCO 0412 einzusetzen. Auch wird hier weniger Material verbraucht.


Abb. 264: FEFCO 0412 ist für den Einsatzzweck besser geeignet. (Quelle: Eigene Darstellung)

Wir fassen zusammen: Um eine optimale Verpackung entwickeln zu können, muss zuerst ein Anforderungsprofil erstellt werden. Das Anforderungsprofil muss alle wichtigen Details der Kundenanforderung enthalten. Nach der Erstellung des Anforderungsprofils kann mithilfe des FEFCO-Kataloges eine Vorauswahl getroffen werden. Neben den im FEFCO-Katalog gezeigten Baugruppen gibt es eine Vielzahl von Variablen. Baugruppen können in der Regel auch untereinander kombiniert werden.
Bei allen Verpackungsausführungen müssen das Verhältnis von Länge, Breite und Höhe sowie die Verpackungsausführung stimmig sein. Die Auswahl einer Verpackung wird in der Regel immer ein Kompromiss sein. Neben den Anforderungen an die Konstruktion selbst sind auch Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit wichtig.

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